gretel zwischen den wäldern III
in meinem bosnischen leben, im bosnischen wald habe ich meinen schwulen bruder am wegrand getroffen. er hat mir mehrmals geholfen, die herkömmlichen von den wertvollen steinchen zu trennen. die guten in mein töpfchen, die schlechten ins kröpfchen. mir scheint, als fehlen noch einige der guten. vielleicht hat sie mein anderer bruder für mich aufbewahrt?
es war erneut der tag der blindschleichenjagd. ich wurde gewarnt, doch nicht mit nachdruck, mir wurde gedroht, doch nicht mit eindruck, deswegen folgte ich meinem bruder in den wald hinein. das motiv tritt in seiner wiederholung in überraschend neuer gestalt auf, ein schlangenbiss trübt die kieselsteinchen, oder hatte der mond an leuchtkraft verloren? wieviele steinchen sind es noch bis nach hause? vielleicht hat mein bruder vergessen sie zu platzieren? wann wird mein bruder damit aufhören seine mutter zu jagen und mir in den wald folgen? berechnung heißt, seinen eigenen vorwand ordnen, um getarnt eine ahnung intuitiv zu überprüfen. die kieselsteine haben nicht an qualität verloren, und dennoch verheilen manche schlangenbisse nur langsam. und je weiter es zurückliegt, desto mehr verblasst das bild des gefühls, wird unscheinbarer; zugleich stellt sich ein gegenwärtiger entzug stets absurder dar.
es scheint nur ein hauch gewesen zu sein. wie ein traum mit a, hat sich tief eingegraben, er sitzt da und bohrt, stets, wie ein pochen, ein zweiter herzschlag, der aus weiter ferne täuschend hallt. als wäre er nicht, oder sei er immer schon dort gewesen. daneben der reale moment, der so als sei die zeit im nu vergangen, die einen längeren zeitraum in sich eingeschlossen hatte, und nichts an erinnerung zuließ, außer dem gefühl. dies bereits direkt danach, so als ob überhaupt kein unterschied darin bestünde, wieviel zeit inzwischen vergangen war.
danach fühlte es sich in jedem moment gleich an, und bot nur die einzelnen bilder, jedoch kein bewegtes, nur wage aneinandergereihte, und es schien so als würde etwas fehlen, was bereits die gesamte zeit gefehlt hatte. die zeit. sie war zeitlos geworden schon während sie wurde und hatte sich in den wind geschrieben, verharrt in seinem rhythmus weiter dort.
wie ein kloß im hals, kann sie sich hervortun, wie ein stechen in der brust oder ein wölben im magen, nur kurz, nur für den moment, kristallisiert durch den gedanken, verbannbar durch das wort. das gefühl verharrt wie ein parasit, ein gefühlsparasit, der bohrt und sticht und hämisch lacht, zugleich die sehnsucht nährt.
eisig fährt sie in mich ein, hinein, das nasenbein entlang bis zur stirn. einen moment, ein augenblick. ich blicke und er füllt sich langsam, schnell, unkontrolliert, ich lasse ihn über mich ergehen, vergehen lassen, ich weiß er vergeht, schnell so schnell, wie er gekommen war, es war nur der moment gewesen, die erinnerung, wenn sie sich heimlich die wendeltreppe hochschleicht. doch die tür bleibt noch verschlossen. und wo die wehen sich begegnen, dort bleiben sie stehen und verschmelzen ineinander als wäre sie keine wehen, sondern ihr gegenteil gewesen, bevor sie im fluss der betätigung verschwinden. brandwunden verheilen nur langsam. vergiftungen führen zum langsamen tod.
manchesmal beißen sich schlangen in ihren eigenen schwanz. nicht die schleichenden blinden habe ich gesucht, sondern den sehenden unter ihnen. hölzerne realitäten prallen aufeinander. bereits erspielte spiele wiederholen sich und die gefahr liegt darin, sich als lebensmeister in mechanisch stumpf und trübsam gewordenen wiederholungen zu verkennen, während man in vermeintlicher weisheit schwelgend letzendlich nur seine eigenen sich wiederholenden entscheidungen nacherzählt.
ich erinnere mich zum beispiel, dass ich mich ungerecht behandelt gefühlt hatte, da es kein ausgewogenes spiel war. nicht einer gegen einen. oft fragte ich mich, warum ich gerade in diesem wald gelandet war, wo ich doch woanders losgelaufen war. ich lasse alles los. kampferprobt fühle ich in meine neue umgebung hinein. ich sauge auf, was rundherum ist, höre gut zu. ich frage mich, in welcher farbe sich die kieselsteinchen bei mondlicht zeigen werden. das haus im wald habe ich im traum gesehen. solange mein bruder seine mutter mit blindschleichen jagt, bewacht großmutter im wald den brunnen, der wolf ist tot.
neugierde. gier auf die neuen dinge, die mich umgeben, die sich erspüren lassen. wahrhaftigkeit kann man oft nicht aufspüren, weil sich brotkrümel unter die kieselsteine gemischt haben, oder die spuren verwischt sind. oft liegen sie nicht mehr an jenen orten, an denen sie sein sollten. liegen nicht mehr in jenen worten, die versprechen sie zu kennen, sie zu benennen. so bleibt zuletzt nur das wortfreie und zeitlose gefühl haften und brennt sich als wahr in dich hinein.
wer zu früh kommt, muss warten, wer jedoch zulange wartet, verpasst unternehmungen, die unternommen zu einem insgesamt schnelleren vorankommen geführt hätten, wodurch sich eine früher stattfindende ereigniskette demnach von selbst ergeben hätte. der tanz der blindschleichen, oder der schleichenden blindgänger. manche fliegen erst später in die luft.